Bereits während seiner Promotion entwickelt Dr. Marco Schmidt, heutiger CSO (Chief Scientific Officer) der biotx.ai GmbH aus Potsdam, potenzielle Wirkstoffe gegen SARS-CoV-1, den Auslöser der SARS-Pandemie 2002/2003. Heute entwickeln er und seine Kolleg:innen Therapien zur Behandlung von vielfältigen Krankheiten – auch zur Bekämpfung des aktuellen Coronavirus SARS-CoV-2.
Pharma-Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Politik haben selten so schnell auf einen neuen Erreger reagiert wie auf das neue Coronavirus. Und nach den Erfolgen bei Impfstoffen steht nun die Entwicklung von Medikamenten im Fokus. Trotz der Verfügbarkeit von Impfstoffen sind diese äußerst wichtig, um Erkrankten mit schweren Verläufen eine vollständige Genesung garantieren zu können. Denn Ärzt:innen fehlt es bislang noch immer an wirksamen Medikamenten zur Behandlung ihrer Covid-19-Patient:innen.
Doch die Entwicklung eines neuen Medikaments ist ein langwieriger Prozess – von der Idee bis zur Zulassung vergehen durchschnittlich 13 Jahre. Zeit, die momentan nicht zur Verfügung steht. Denn das Coronavirus samt aller Varianten breitet sich weiter aus und führt neben der gesundheitlichen Bedrohung für viele Menschen auch zu starken Einschränkungen unseres Alltags.
Um diese Zeit zu verkürzen, bringt biotx.ai Big Data in die Biomedizin und Arzneimittelentwicklung. Die Firma hat eine Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt, die Zusammenhänge und komplexe Muster in medizinischen Daten analysieren kann. Diese Erkenntnisse ebnen den Weg zu präzisen Vorhersagen über die Wirkung von Arzneimitteln sowie zu neuartigen Diagnosen und Therapien.
Nicht immer müssen Medikamente von Grund auf neu entwickelt werden. Eine vielversprechende Chance zur Verkürzung des schleppenden Verfahrens stellt das Repurposing (Umwidmung) von Medikamenten dar. Das Ziel im aktuellen Kampf gegen Corona: Arzneimittel, die zur Behandlung anderer Krankheiten erfolgreich zugelassen sind, gegen Covid-19 nutzen. Das Prinzip ist alt. Ein einst gescheitertes Krebsmedikament war zum Beispiel die Grundlage für das erste Mittel gegen HIV. Für eine solche Umwidmung im Falle der derzeitigen Pandemie müssen aber zunächst die potenziellen Mittel auf ihre Wirksamkeit bei Covid-19 untersucht werden. Früher wurden neue Indikationen eher zufällig entdeckt, heute ist das Repurposing immer öfter Ergebnis systematischer Suchen – meist mithilfe von KI. Denn die meisten Abläufe bei einer derart komplexen Suche lassen sich effizient mit Machine Learning-Verfahren gestalten und sparen dadurch sehr viel Zeit und Geld.
Genau hier setzt die selbstlernende Software von biotx.ai an: Die KI des Unternehmens wird bei der Suche nach möglichen Wirkstoffen gegen Covid-19 genutzt. Sie hilft dabei, im Genom von Patient:innen und in der DNA des Virus selbst Muster zu finden, die mit der Krankheit zusammenhängen und ermöglicht dadurch die gezielte Entwicklung von Medikamenten.
„Unsere KI kann die Wirksamkeit eines vorhandenen Wirkstoffs gegen Covid-19 vorhersagen und zwar auf der Grundlage der Wirkung dieses Wirkstoffs auf bekannte Krankheiten“, so Schmidt. Das Team von biotx.ai analysierte mit ihrem eigenen Verfahren Tausende Daten von Biobank-Patient:innen und fand so heraus, dass CDK6-Inhibitoren einen sehr positiven Einfluss auf schwerkranke COVID19-Patient:innen haben.
CDK6 ist ein Protein, das für die Regulation der Zellteilung zuständig ist und den Verlauf der Krankheit Covid-19 beeinflusst. Die Hemmung dieses Enzyms soll eine Überreaktion des Immunsystems verhindern, die bei einigen Patient:innen dazu führt, dass das Virus massiv die Lunge angreift. Und im Gegensatz zu herkömmlichen antiviralen Medikamenten, die auf das Virus selbst abzielen, wirken die CDK6-Hemmer auch bei neuen Mutationen und Varianten.
Das Besondere bei alldem: CDK6-Hemmer sind bereits für die Behandlung von Brustkrebs zugelassen. Mit diesen bekannten Mitteln könnten Patient:innen also sofort behandelt werden. Eine einmalige Gelegenheit, um die zuweilen pandemiebedingt vollen Intensivstationen zu entlasten und schwer kranken Patient:innen auch weiterhin eine intensivmedizinische Versorgung zu ermöglichen. Nach einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut und zahlreichen medizinischen Fachleuten in Deutschland und den USA entschied sich biotx.ai für die Durchführung einer klinischen Studie. Diese findet nun am Universitätsklinikum Brandenburg statt und soll die Wirksamkeit der CDK6-Inhibitoren untermauern.
Die Technologien und Erkenntnisse von biotx.ai sind auch sehr wertvoll für andere medizinische Sparten – vor allem die Vorhersagemethoden: Forschung und Industrie könnten Patient:innen für klinische Tests besser auswählen und auch Studien ließen sich deutlich effizienter gestalten. Und Menschen, die ein hohes Risiko für bestimmte Krankheiten haben, kämen in die Lage, Vorkehrungen zu treffen und früh gegenzusteuern. Die Firma entwickelt daher auch in anderen Bereichen Vorhersagen – derzeit arbeitet sie auch an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der Parkinson-Krankheit, Diabetes sowie Brustkrebs.
Durch die Technologie der biotx.ai entfallen aufwendige Laborstudien bei der Arzneimittelsuche und auch mühsam zusammengestellte Patient:innengruppen zu Testzwecken sind nicht mehr zwingend erforderlich. Das Unternehmen demonstriert, wie Algorithmen einen großen Beitrag zur zielgenauen Medizin leisten können und zeitgleich wichtige Ressourcen sparen.
Unsere Gesundheit wird durch den aktuellen technologischen Fortschritt neu vermessen. Digitalisierte Prozesse haben sich in der wohl ältesten Wissenschaft der Menschheit als Innovationsbeschleuniger etabliert und bringen auch hier das Potenzial mit, Wissen und Prozesse grundsätzlich zu verändern: Personalisierte Therapien, schnellere Entwicklung von Medikamenten, präzisere Vorhersagen von Krankheitsverläufen und bei all dem: eine deutliche Kostensenkung. Der Einsatz von Machine Learning, KI und Data Science wird immer mehr Teil gängiger Abläufe im Gesundheitsbereich und sorgt immer wieder für große Erfolge.
Die präzise Diagnose von Krankheiten bleibt dabei weiterhin eine der schwierigsten Fragestellungen der Medizin: KI kann hier eine große Hilfe sein. Algorithmen können selbständig lernen, Muster und Auffälligkeiten zu erkennen – ähnlich wie Ärzt:innen. Der Unterschied: in kürzester Zeit werden sehr große Datenmengen kombiniert und analysiert. Deutlich schneller, als es Ärzt:innen je möglich wäre.
„Die Synergie zwischen einer KI, die neue Ideen hervorbringt, und einem Experten, der die KI im Zaum hält, zeichnet unseren Ansatz aus“, heißt es aus der Firma. Denn auch die beste KI kann die Expertise von Ärzt:innen nicht ersetzen – diese können sich jedoch mithilfe der Maschinen auf die Interpretation der gelieferten Analysen konzentrieren. Damit trägt der Algorithmus entscheidend dazu bei, die Diagnose leichter zugänglich und gleichzeitig deutlich preiswerter zu machen.