Wer selbst etwas auf die Beine stellen wollte, der suchte lange Zeit sein Glück in den Städten. Inzwischen ist die Trendwende unverkennbar: Brandenburg entwickelt sich zu einem Ökosystem für eine neue Startup-Kultur, die auch für Berliner:innen eine Option ist: Hier lassen sich Leben und Arbeiten optimal in Einklang bringen. Eine ideale Förderlandschaft vereint mit kreativer Energie schafft die besten Voraussetzungen für neue Innovationskraft. Das Havel Valley macht vor, wie es funktionieren kann.
Bist du wahnsinnig? Diesen Satz bekommt Lars Schulze häufiger zu hören, wenn er von seinem Vorhaben erzählt: Brandenburg an der Havel soll zum „Silicon Valley“ vor den Toren Berlins werden. Mit der Havel Valley Community wird diese Idee Realität. Ihren Ursprung hat die Community in der Corona-Pandemie 2020: Mit #kaufinbranne stieß Schulze als Reaktion auf den Shutdown im Frühjahr 2020 ein Projekt an, um die Region am Leben zu halten. #kaufinbranne unterstützte Brandenburger Einzelhändler online mit einer Interviewreihe sowie offline mit „Kauf-lokal“-Plakaten inklusive Corona-Regeln für ihre Ladengeschäfte. Außerdem spendeten Schulze und sein Team Masken für das SOS Kinderdorf, Alten- und Obdachlosenheime.
„Mit #kaufinbranne ist eine Energie entstanden, die wir einfach am Leben halten mussten“, sagt er. Es folgten #Madeinbranne, das Brandenburger Händler im Bereich Kunsthandwerk und Design unterstützt, und das „Streamquartier“, mit dem Live Streams für Musiker:innen, Künstler:innen, Theater und Startups während der Corona-Pandemie organisiert wurden.
Co-Working-Spaces und branchenübergreifende Projekte
Und die Energie hält sich weiter und nimmt neue Formen an: Mittlerweile umfasst die Havel Valley Community rund 200 Beteiligte aus ganz unterschiedlichen Branchen vom Gastgewerbe über Handwerk und Tourismus hin zu digitalen Dienstleistungen. Die Beteiligten profitieren von einem großen Netzwerk an Unternehmen. Außerdem besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Brandenburg. Es gab auch bereits ein Treffen mit dem Brandenburger Bürgermeister Steffen Scheller, bei dem die Community ihre Interessen vorbringen konnte.
In der Havel Valley Community werden Ideen ausgetauscht, man netzwerkt, Projekte entstehen. „Ich war überrascht, wie viele tolle Leute es hier gibt, die sich bislang aber nie über den Weg gelaufen sind“, sagt Lars Schulze. Sie zusammenzubringen, damit Neues entstehen kann – das ist das Ziel. Ein Beispiel für ein gemeinsames Projekt aus der Havel Valley Community sind die „Berufestreams“: In zwei verschiedenen Videos präsentierten sich 12 Firmen der Region, um Schüler:innen verschiedene Berufsbilder näherzubringen und sie so bei der Berufswahl zu unterstützen.
Zentraler Treffpunkt des Havel Valley ist das Havelspace in Brandenburg an der Havel: Hier gibt es Büroarbeitsplätze und regelmäßige Events – Meetups für Selbstständige zum Beispiel oder auch gemeinsame Veranstaltungen mit den Wirtschaftsjunioren. Ein weiteres Co-Working des Havel Valley ist die „Waldstatt“ in Großwudicke.
„Das Havel Valley wird Türen öffnen, wo vorher Wände waren“ – Marius Liefold, Gründer von Denton Systems
Wichtig ist Schulze zu betonen, dass hinter dem Havel Valley keine Organisation steht: das Valley als Synonym für eine neue Startup-Kultur, eine neue Generation der Zusammenarbeit – eine Community, die sich selbst trägt: „Wir wollen Gas geben, gemeinsam Dinge realisieren, die wir selber anpacken können“, erzählt Schulze enthusiastisch.
Das sieht auch CEO Marius Liefold von Denton Systems so, der sich für die Initiative engagiert: „Es fällt zunehmend auf, dass viele Menschen in der Region etwas bewegen wollen und mit einem Vehikel wie Havel Valley steigt die Innovationskraft um ein Vielfaches. Aus Unternehmersicht reicht es nicht mehr, Mitarbeiter:innen finanzielle Anreize zu schaffen. New Work, Work-Life-Balance, Workation sind unlängst zu wichtigen Variablen geworden. Auch eine positive Förderlandschaft ist für Startups mittlerweile unerlässlich. Das Havel Valley bietet die besten Bedingungen für all diese Bereiche. Die entstandene Bewegung wird die Region in den kommenden Jahren maßgeblich mitgestalten und Türen öffnen, wo vorher Wände waren“, so Liefold.
Barcamps für die Region
Jede:r kann Ideen einbringen. Findet sich eine Mehrheit, wird sie mit anderen Unterstützer:innen umgesetzt. Die Community organisiert sich größtenteils über Slack, wo sich neue Havel-Vallier vorstellen, Projektupdates posten oder über Ideen und Projekte abstimmen können. Bisher fanden außerdem zwei große Barcamps statt, bei denen die Teilnehmenden Strategien überlegen, wie sie ihre Region unterstützen können. Beim ersten dieser Barcamps nahm auch der Berliner Investor Thomas Hessler teil, der selbst ein paar Jahre im Silicon Valley gelebt hat und hier durchaus Parallelen sieht: „Die Nähe zur Natur, das Wasser – all das regt die Phantasie an. Ich rate jedem, der etwas Neues starten will, hier mitzumachen“ – hier werde ein Umfeld geschaffen, sich gegenseitig zu helfen und zu inspirieren.
Wunderlist-Gründer Christian Reber (CEO Pitch) betonte ebenfalls das Potential, das in seiner Heimat Brandenburg steckt. Auch Christian Anuth, der mit seiner Business-Idee die ersten Jahre nach Berlin pendelte, um sich in der Startup-Szene der Hauptstadt auszutauschen, bleibt inzwischen vor Ort. „Ich bin stolz, wie weit sich die Havel Valley Initiative aus eigener Kraft der Community entwickelt hat und freue mich auf die zukünftigen Projekte. Es gibt viel Potential und viele Ideen, in unserem wunderschönen Brandenburg ein Ökosystem für Gründer:innen an der Havel aufzubauen. Nun wird es endlich Realität.“ Motivation und begeisterte Worte kamen während des ersten Barcamps außerdem von Tobias Kremkau, Head of Coworking des St. Oberholz in Berlin, der zusammen mit Ansgar Oberholz das Institut für Neue Arbeit (IfNA) gegründet hat und Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit berät.
Eine Idee, die Nachahmer:innen findet
Arbeit jenseits der klassischen Büroräume neu denken, andere ökonomische Ansätze erproben, gemeinwohlorientiert handeln. In Brandenburg an der Havel ist das Realität geworden. Überhaupt etabliert das Havel Valley einen Trend, der sich in der Corona-Pandemie noch einmal verstärkt hat: Eine lebendige Startup-Kultur entwickelt sich längst nicht mehr nur in den Städten. Immer mehr Gründer:innen zieht es aus den Städten ins Umland – und das nicht nur in Brandenburg: „Wir haben bereits Anfragen aus anderen ländlichen Regionen bekommen, ob sie den Havel-Valley-Ansatz auf ihre Region übertragen dürfen“, sagt Lars Schulte. „Darüber freuen wir uns sehr. Unsere Idee ist eine, die gerne aufgegriffen und weitergetragen werden darf!“
Bei Havel Valley geht es nicht vorrangig um die Probleme von Brandenburg, sondern um die Probleme für Start-ups in Berlin. Die Büro- und Wohnungsmieten explodieren, das können sich junge Unternehmer*innen und Start-ups nicht mehr leisten.
Das Projekt „Havel Space“ in Brandenburg an der Havel bietet Räume für Veranstaltungen, Arbeitsplätze für Coworking und ein mietbares Podcast-Studio. Vorträge oder Workshops sowie Musikevents fördern den Kontakt zwischen unterschiedlichen Personengruppen und werden teils zusammen mit den Coworker:innen, Künstler:innen und anderen engagierten Personen aus dem Ort und der Region organisiert.
Selbstständige Freiberufler:innen oder Unternehmer:innen kommen im Havel Space miteinander in den Austausch, helfen sich bei ihren Projekten oder unterstützen andere Gründer:innen und angehende Selbstständige. Manche nutzen die Räume auch, um Workshops oder Sport- und Fitness-Angebote anzubieten. Dabei profitieren sie auch von der zentralen Lage des Havel Space in der Brandenburger Innenstadt: Passant:innen kommen spontan in den Laden und werden so auf Veranstaltungen, Angebote und das Havel-Valley-Netzwerk aufmerksam. .
Langfristiges Ziel des Havel Space ist es, die lokale Infrastruktur weiterzuentwickeln und nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften zu fördern. Das Havel Space wurde von Akteur:innen des Havel Valley heraus gegründet und steht wie das „Havel Valley“ auch für eine offene Gemeinschaft und eine nachhaltige Startup-Kultur. Das Netzwerk an Selbstständigen, Unternehmer:innen und weiteren interessierten und engagierten Menschen beschränkt sich dabei nicht nur auf Brandenburg an der Havel, sondern umfasst auch das Havelland. Bei den „Selbstständigen-Meetups“, die jeden letzten Dienstag im Monat stattfinden, sind immer wieder neue Gesichter zu sehen – das Netzwerk des Havel Valley wächst damit kontinuierlich weiter an.
Zusammen statt gegeneinander wirtschaften. Das ist eines der Ziele der Havel Valley: "Wir etablieren ein neues Netzwerk, damit sich junge Unternehmer und Unternehmerinnen frei entfalten können. So erhalten Events, Workshops oder Coworking Spaces mehr Aufmerksamkeit und es wird ein Bewusstsein für eine neue, nachhaltige Unternehmenskultur geschaffen."
Digital Nomads: Arbeit jenseits der klassischen Büroräume neu denken, andere ökonomische Ansätze erproben, gemeinwohlorientiert handeln. In Brandenburg an der Havel soll das Realität werden.
"Die entstandene Bewegung wird die Region in den kommenden Jahren maßgeblich mitgestalten und Türen öffnen, wo vorher Wände waren“, sagt Co-Initiator und CEO des Startups Denton Systems, Marius Liefold. Die Community mit derzeit rund 100 Mitgliedern organisiert sich größtenteils über Slack, wo sich neue Havel-Vallier vorstellen, Projektupdates posten oder über Ideen und Projekte abstimmen können. Neue Ideen und Mitglieder sind jederzeit willkommen!
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat Brandenburg an der Havel 2020 zum Top-Aufsteiger gekürt.