Spätestens seit Corona sind Antikörper wohl den meisten ein Begriff: Sie dienen als Nachweis von Infektionen, spielen aber auch eine wichtige Rolle in der Behandlung verschiedener Krankheiten von Rheuma bis Krebs. Katja Hanack und ihr Team haben ein Verfahren zu entwickelt, mit dem sich die Herstellung von Antikörpern für Diagnostik, Forschung und Therapie enorm beschleunigen lässt. Außerdem bietet die Firma humane, murine und camelide Antikörper für Therapie und Diagnostik.
Im Spätsommer 2002 sitzt Katja Hanack in einem Bus Richtung Potsdam-Golm. Sie ist auf dem Weg zu ihrem Vorstellungsgespräch für eine Doktorandenstelle an der Universität Potsdam und allmählich wird sie nervös. Nicht nur wegen des Gesprächs, sondern auch, weil sie nicht weiß, wo sie aussteigen soll: Links und rechts aus dem Busfenster heraus erblickt sie nichts als Felder – und hier soll sich der Lehrstuhl für Immuntechnologie befinden?
Wo 2002 noch kaum ein Haus stand, erstreckt sich heute der Potsdam Science Park. 12.500 Menschen arbeiten, forschen und studieren hier; über 30 forschungsnahe Unternehmen befinden sich am Standort – Katja Hanacks ist eines davon.
Sie bekommt 2002 die Doktorandenstelle an der Uni Potsdam und 2015 schafft sie sich mithilfe von Stiftungsmitteln aus der Industrie ihre eigene Professur. 2014 gründet sie gemeinsam mit Pamela Holzlöhner new/era/mabs, um ihre Antikörperforschung in konkrete Produkte zu überführen – und damit eine „neue Ära“ der Antikörperforschung einzuleiten („mabs“ steht für das englische „monoclonal antibodies, also monoklonale Antikörper). „Meine Motivation war immer, dass meine Forschung anderen Menschen nützt. Mit unseren Antikörpern wollen wir die Diagnostik und Therapie verbessern. Und damit vielen Menschen helfen“, sagt sie.
Antikörper sind der Grundbaustein für die Entwicklung von Medikamenten gegen verschiedene Krankheiten wie Krebs, Rheuma oder Asthma. Mit Antikörpern lassen sich Krankheiten wie Corona nachweisen und selbst Schwangerschaftstests beruhen auf einem Antikörper-Nachweis.
Pharmaunternehmen können Antikörper bereits fertig einkaufen. Oft müssen sie jedoch passgenau hergestellt werden, damit sie auf das geplante Vorhaben abgestimmt sind. Das heißt: Bevor ein neues Medikament oder Diagnose-Verfahren entwickelt werden kann, müssen zuerst die Wunschantikörper produziert werden. Und das dauert – mit den herkömmlichen Verfahren mindestens 8 bis 12 Monate. Zu lange, findet Katja Hanack und macht sich 2010 mit ihrer Gruppe daran, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem Antikörper in nur einem Viertel der Zeit hergestellt werden können. Seit 2019 ist die patentierte selma Technologie auf dem Markt, zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen nutzen die Antikörper von new/era/mabs bereits. „Mit unserem Verfahren kann ein Unternehmen bereits nach drei statt bisher zwölf Monaten mit der Produktentwicklung beginnen“, so Hanack.
Neben der patentierten Selektionstechnologie selma hat new/era/mabs noch ein weiteres Spezialgebiet: Das Unternehmen deckt mit seinem Portfolio den gesamten Antikörperbereich ab. Neben humanen und murinen (d .h. Maus-) Antikörpern bietet new/era/mabs auch camelide Antikörper an.
„Dabei handelt es sich um eine neue Klasse von Antikörpern“, erklärt Hanack. „Normalerweise verwendet man Antikörper von Maus oder Kaninchen für die Diagnostik und humane Antikörper für die Therapie, also für die Herstellung von Medikamenten. Die Besonderheit von cameliden Antikörpern ist, dass sie sehr flexibel und sehr wenig immunogen sind. Das heißt, sie können sehr viel weniger Immunreaktionen im menschlichen Körper auslösen als zum Beispiel Antikörper aus der Maus. Daher eignen sie sich auch hervorragend für die Herstellung von Medikamenten.“
Katja Hanack und ihrem Team ist es in eigener Entwicklung bereits gelungen, camelide Antikörper herzustellen, die SARS-CoV-2 Omikron-Viren neutralisieren können. „Mit diesen Antikörpern könnte zum Beispiel ein Anti-Corona-Medikament hergestellt werden“, sagt Hanack.
Die cameliden Antikörper sind ein Vorstoß. „Wir sind aktuell dabei weitere eigene Antikörperkandidaten zu entwickeln“, verrät Hanack. Sie will das Produktportfolio von new/era/mabs ausbauen und nicht nur passgenaue Antikörper für ihre Kund:innen produzieren, sondern selma auch dafür nutzen, eigene Antikörper zu entwickeln und zu vermarkten.
Außerdem arbeitet ihr Team gerade daran, die selma Technologieplattform weiter auszubauen. „Perspektivisch wollen wir ohne Versuchstiere auskommen und auch den ersten Teil des Verfahrens, der aktuell noch teilweise in der Maus stattfindet, in der Zellkulturschale nachbilden“, sagt Katja Hanack. Dies wäre nicht nur ein großer Fortschritt im Sinne des Tierwohls, sondern auch eine deutliche Beschleunigung der Antikörper-Produktion. Die neue Ära der Antikörperherstellung hat gerade erst begonnen!
Um Antikörper zu gewinnen, wird einer Maus ein Antigen, also eine für den Organismus fremde Substanz gespritzt. Das setzt eine Immunantwort in der Maus in Gang, B-Zellen werden produziert. Diese B-Zellen sind es, die Antikörper produzieren. Doch um diese Antikörper nutzbar zu machen, sind weitere Schritte notwendig:
Die B-Zellen werden aus der Milz der Maus entnommen und mit Myeloma-Zellen – krebsabgeleiteten B-Zellen – vermischt. Myeloma-Zellen sind unsterblich und vermehren sich schnell. Die Myelomazellen und die B-Zellen der Maus können zu sogenannten Hybridoma fusioniert werden. Wie die B-Zellen produzieren auch sie Antikörper und wie Myeloma sind auch sie unsterblich und vermehren sich schnell. Jedoch sind nicht alle Antikörper, die Hybridoma produzieren, auch spezifisch für das gewünschte Antigen. Deshalb müssen alle Antikörper separiert und einzeln überprüft werden – ein aufwendiger Prozess.
Hier setzt die selma Plattform an: Katja Hanack und ihrem Team ist es geglückt, die geeigneten Zellen mit einem Oberflächenmarker zu versehen, sodass sie sehr viel schneller identifiziert werden können. „Man kann sich das vorstellen wie ein Bällebad. Bei der herkömmlichen Methode sind alle Bälle nahezu identisch und man muss jeden einzelnen in die Hand nehmen, um ihn zuordnen zu können. Mit selma sind die Bälle, die ich haben will, rot markiert. Statt Abertausende Bälle einzeln in die Hand zu nehmen und zu untersuchen, kann ich mir die, die ich brauche, gezielt rausfischen. Und das spart mir sehr viel Zeit und ich habe einen viel effektiveren Selektionsprozess“