Peter H. Seeberger ist mit zwei Metern Körpergröße ein Riese, man muss aufschauen. Der optische Eindruck des Professors für Biochemie unterstreicht das Bild, das man von Seeberger ohnehin bekommt: Er ist ein Gigant auf seinem Gebiet, der Grundlagenforschung für Impfstoffe. Eine Karriere mit einem humanen Ziel.
25 Preise erhielt Seeberger bisher, das erste Start-Up gründete er in den USA mit 34 Jahren. Er war zu der Zeit Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), später wurde er an die renommierte ETH Zürich berufen. Von Anfang an forschte er zwischen Chemie und Biologie an Zuckerketten für wirksame Impfstoffe und wusste schon früh: man muss Forschung bis in die Anwendung denken. Demgemäß gingen aus diesen Forschungen immer auch Ausgründungen hervor. Seine Vision setzt er heute in Berlin und Potsdam/Potsdam-Mittelmark fort: Als Professor an der FU Berlin und Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung im Wissenschaftspark Potsdam-Golm.
„Erkenntnis kommt von Anwendung“, das Zitat von Max Planck ist Seeberger zum Motto geworden. Er ist ein Wissenschaftler, der seine Arbeit konsequent bis in die Anwendbarkeit zu Ende denkt – mit einem Ziel: günstige Impfstoffe herzustellen, darunter auch einen, der gegen Malaria eingesetzt wird. Und das gelingt ihm mit Grundlagenforschung, die für gewöhnlich wenig anwendungsorientiert ist, sprich: mit synthetisierten Zuckerketten. „Erst wenn man etwas Grundlegendes versteht, kann man es auch gründlich anwenden", fasst Seeberger zusammen.
Seeberger ist umtriebig, er folgt einem Erkenntnisdrang. Die jüngste Ausgründung des Wissenschaftlers heißt Fluxpharm. Das Ziel des Unternehmens ist es unter anderem, Wirkstoffe gegen HIV schneller und effizienter herzustellen und so marktfähig zu machen. Seeberger selbst nennt diese intrinsische Motivation einen forscherischen Unternehmergeist, der stets das Neue suche, an das zuvor noch niemand gedacht hat. Man müsse bis an den Rand des Wissens gehen, um gute Forschung zu machen.
Doch bei allem Engagement dürfe man eines auf keinen Fall außer Acht lassen: Raum für Zufall. Viele grundlegende Erfindungen verdanken sich Unfällen, Unwägbarkeiten, Fehlversuchen und schlicht gescheiterten Experimenten. Seeberger weiß: „Die richtig tollen Experimente arbeiten mit Zufall.“
Das lässt sich auch auf das ökonomische Feld übertragen. In Deutschland gebe es herausragende Forschung und Resultate, auch viele Patente würden angemeldet. „Allerdings,“ meint Seeberger, „fehlt es leider oft an der Risikobereitschaft“. Analog dazu sei in Sachen staatlicher Finanzierung die Situation zwar vorteilhaft, nicht aber, was den Bereich „Risikokapital“ betreffe. Es mangele am Bewusstsein für Umsetzung und Anwendung. Eine Situation, die verbesserungswürdig sei, so Seeberger.
Genau dafür setzt er sich in Potsdam ein: Seeberger möchte Unternehmen näher an das Institut bringen, möchte sie vor der Tür haben, und so den Standort für Kollaborationen öffnen und für Studierende attraktiver machen.
Deutschland müsse sich wegen seiner Wissenschaft nicht verstecken, im Gegenteil, meint Seeberger, man dürfe sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. „Es gibt Forschung in Deutschland, die von Weltrang ist - um diese anwendbar und marktfähig zu machen, bedarf es verschiedenster Ressourcen.“ Deswegen ist für Seeberger vor allem das Thema Vernetzung wichtig. Da käme Potsdam nach Meinung des Biochemikers auch die Nähe zu Berlin zu gute. „Niemand, auch wir am MPI nicht, kann diese wirklich komplexen Themen alleine angehen", beteuert Seeberger.
Seeberger setzt sich persönlich für Bildung und Cutting-Edge-Forschung in seinem internationalen Team am MPI ein. Das wäre erstens damit zu erreichen, das produzierende Gewerbe in Potsdam auszubauen. Es ginge aber auch darum, den Standort Potsdam zusammen mit dem Großraum Berlin-Brandenburg international aufzustellen und zu vernetzen – und nicht zuletzt die Chemie von ihrem schlechten Ruf zu befreien. Das sind die Voraussetzungen für erstklassige Wissenschaft und erstklassige Wissenschaftler.
Das sei indes nur zu schaffen, wenn sich in der Wissenschaft breitenwirksame Rollenbilder mit guter Vermittlung die Hand geben. Der Biochemiker weiß genau, dass mit sprödem Wissenschaftsduktus keine Herzen zu gewinnen sind – vor allem nicht die von jungen Menschen. Wissenschaft sexy zu machen, sei eine schwere Aufgabe, aber möglich. Letztlich, so räumt Seeberger noch ein, ginge es eben auch darum, mit den Vorurteilen gegenüber der Chemie aufzuräumen, dessen Image in den 1980er Jahren enorm gelitten habe. „Die Chemie kann heute ganz andere Sachen bewirken.“ Ja, Peter H. Seeberger macht es vor.
"Wenn ich das Geld vom Steuerzahler bekomme – was heißt das? Nehm ich das und produziere teures Papier? Ich möchte nicht auf einem Berg Papers zurückschauen. Es reicht, der Menschheit auch nur ein bisschen geholfen zu haben."
Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung
Malaria ist schon lange heilbar, die Wirkstoffe sind aber in der Produktion immer noch zu teuer. Das Team um Seeberger hat einen Fotoreaktor entwickelt, mit dem die Herstellung des Wirkstoffes „Artemisinin“ preiswerter und einfacher möglich ist. „Wenige Fotoreaktoren reichen, um den weltweiten Bedarf an Artemisinin zu decken“, stellt Seeberger in Aussicht. Um den Prozess zur Herstellung von Artemisinin aus Pflanzenabfall zu entwickeln hat der Chemiker ein eigenes Spin-Off gegründet: Artemiflow.
Das jüngste der Ausgründung von Seeberger heißt Fluxpharm. Ziel des Unternehmens ist es unter anderem, Wirkstoffe gegen HIV schneller und effizienter herzustellen und so marktfähig zu machen. Das Unternehmen stellt Geräte her, sogenannte Durchflussapparaturen, die mithilfe von kontinuierlicher Durchflusschemie komplexe Produkte herstellen – ein Novum in der Chemie.
Mittels eines umgebauten Tintenstrahldruckers lässt sich im diagnostischen Verfahren der Parasit „Toxoplasmose“ identifizieren, der häufig bei Katzen auftritt und der für den Menschen eigentlich harmlos ist. Für Föten hingegen kann derselbe Erreger fatal sein. Das entwickelte Gerät ist nicht nur sinnvoll, es kann mehr, weil auch hier Seeberger und sein Team angewandt denken: Mit nur einem Tropfen Blut lässt sich der Erreger innerhalb von 10 Minuten kostengünstig nachweisen.
Uns geht’s darum, dass wir die besten Spieler auf den Platz bringen und wo die herkommen, ist egal. Dazu braucht man gute Forschung. Man braucht ein interessantes Umfeld und man braucht auch eine interessante Stadt.
Zucker sieht nicht immer wie Zucker aus. Derzeit arbeiten Seeberger und sein Team an einem Hybridmaterial, das auf Zucker basiert - mit offenem Ausgang. Auch das gehört zu den Forschungsbereichen in der Abteilung für Biomolekulare Systeme in Potsdam.
"An der Herstellung der langen und komplizierten Ketten der Zuckermoleküle hatten schon eine ganze Reihe anderer Wissenschaftler intensiv gearbeitet."
Potsdamer Neueste Nachrichten
2021 ist Peter H. Seeberger für seine wegweisenden Beiträge zur Synthese komplexer Kohlenhydrate, insbesondere durch die Entwicklung automatisierter Methoden, mit der Emil-Fischer-Medaille ausgezeichnet worden. „Diese hohe Auszeichnung erfüllt mich mit Stolz: Emil Fischer war der Begründer meines Hauptarbeitsgebietes, der Zuckerchemie", sagt Seeberger und fügt ergänzend hinzu: „Er ist ein großes Vorbild für mich.“ Seit 1950 verleiht die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) die Emil-Fischer-Medaille für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der organischen Chemie.
Peter H. Seeberger (geb. 1966) promovierte in Biochemie an der University of Colorado. Nach einem Postdoc-Aufenthalt am Sloan-Kettering Institute for Cancer Research in New York City war er von 1998-2003 Assistant Professor und Firmenich Associate Professor (tenured) am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA. Von 2003-2009 war er Professor an der ETH Zürich und 2008 Vorsteher des Laboratoriums für organische Chemie. Seit 2009 ist er Direktor des Departments für Biomolekulare Systeme am Max-Planck Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und Professor an der Freien Universität Berlin. Seit 2011 ist er Honorarprofessor an der Universität Potsdam.
Seine Arbeitsgruppe forscht im Grenzgebiet von Chemie und Biologie. Neben bahnbrechenden Erfindungen im Bereich der automatischen Synthese komplexer Zucker entwickelt er neue kontinuierliche Synthesemethoden für die Totalsynthese von Wirkstoffen.
Außerdem stehen in der Forschungsgruppe gleichermaßen biologische Arbeiten zur Aufschlüsselung von Signalübertragung und die Erforschung der Materialeigenschaften komplexer Zucker im Vordergrund. Die Grundlagenforschung im Bereich der Immunologie hat zur Entwicklung von Impfstoffen gegen Krankenhauskeime beigetragen, die nun kurz vor der klinischen Entwicklung stehen.
Peter H. Seeberger ist Herausgeber des open access „Beilstein Journal for Organic Chemistry“ und in anderen Funktionen bei mehr als zehn Zeitschriften involviert. Als Mitgründer der Tesfa-Ilg “Hope for Africa” Foundation setzt er sich für verbesserte Gesundheitsvorsorge in Äthiopien ein.